Leuchtendes Schweben
Welche Phantasie hat Joseph Haydn für sein Streichquartett op. 33/2 in Es-Dur mobilisiert - ein fabelhaftes Werk. Und mit welcher Phantasie hat das Genfer Quatuor Terpsycordes das Stück auf einem Quartett von historischen Instrumenten aus dem frühen 19. Jahrhundert von Jean- Baptiste und Nicolas-François Vuillaume gespielt. Mit modernen Instrumenten dann zum Schluss ihres Abends bei den Swiss Chamber Concerts in der Kirche St. Peter in Zürich und gemeinsam mit dem Bratschisten Jürg Dähler und dem Cellisten Daniel Haefliger wurde Johannes Brahms' zweites Streichsextett op. 36 G-Dur gegeben. Auch hier: welches Leben, welches Leuchten. Die sechs konnten grossen, expressiven Streicherklang entwickeln, doch über weite Strecken war auch ein ganz anderer Brahms zu hören, einer der intimen, feinen Zwischentöne, wie er sonst so gerne überspielt wird.
Zwischen den beiden Klassikern erklangen - wie es bei den immer anregenden Konzertprogrammen dieser Reihe erfreulicherweise üblich ist - zwei zeitgenössische Werke. Eric Gaudiberts uraufgeführtes dreisätziges «Quatuor No 2» führt die modernen, mit Stahlsaiten ausgerüsteten Instrumente des Quatuor Terpsycordes mit dem Darmsaitenklang der einen Halbton tiefer auf 415 Hertz gestimmten historischen Instrumente zusammen. Eine fast unmerkliche Biegung im Klang entsteht beim Instrumentenwechsel, ohrenfälliger im zweiten Satz, der zu Beginn nur natürliche Flageolette verwendet: Die andere Stimmung ermöglicht eine reichere Harmonik. Entstanden ist ein Werk voller Poesie und Farben, das Einfachheit und abgeklärte Heiterkeit im Ausdruck sucht und einen mit erlesenen Klängen und harmonischen Wendungen überrascht: Klängen, die erstaunlich immateriell wirken, ganz im Gegensatz zu den sehr körperlichen Klängen in Hans Ulrich Lehmanns 1974 entstandenem Sextett «zu streichen». Darin werden die verschiedensten Varianten der Klangerzeugung durch das Streichen mit dem Bogen erforscht. Aber wie. In einer ganz präzise und verbindlich ausgehörten Bogenform, mit Klangmischungen, die einen immer wieder frappieren, mit einer Differenziertheit im Ausdruck sondergleichen. Erstaunlich, wie aktuell das Werk noch heute klingt.
Alfred Zimmerlin